Donnerstag, 1. März 2007

"Ich bin für das Zehntrecht!" oder "Das Weißwurstessen"

Nach langer Funkstille auf dieser Seite und einen Tag, bevor ich auf eine einwöchige Fortbildung des deutsch-französischen Jugendwerkes zum Animateur für deutsch-französische Jugendbegegnungen gehe, möchte ich meine verehrten Leser wieder mit einer kleinen Anektdote delektieren.

Zum besser Verständnis muss ich eine kulturwissenschaftliche Anmerkung vorwegschicken: Hier in Frankreich ist das Verhältnis zwischen Kirche und Stadt tiefgreifend anders geregelt. Seit dem Gesetz über den Laizismus aus dem Jahr 1905, wird auf eine strikte Trennung zwischen beiden geachtet. Das beginnt beim fehlenden Religionsunterricht in der Schule und macht sich weiterhin im wörtlichen Sinne besonders im Geldbeutel bemerkbar: Es gibt keine Kirchensteuer. Diese Tatsache hat zwei Konsequenzen:
1, Die Priester werden bei freier Kost und Logis miserabel bezahlt - mehr als der SMIC (Salaire Minimum Interprofessionnel de Croissance = gesetzlich vorgeschrieber Mindestlohn) ist nicht drinnen
2, Die Kirchgänger sind wesentlich freigiebiger bei den Kollekten und sonstigen Spenden für die Kirche. Gut, ich wohne auch im reichsten Viertel von ganz Paris, aber unter 5€ im Klingelbeutel geht hier nichts.
Richtig amüsant wird es dann zu erfahren, welche Folgen beide Beobachtungen kombiniert haben. Ich bezeichne es spöttisch gerne als das Zehntrecht. Immer wenn Franzosen den Pfarrer sprechen kommen, bringen sie irgendetwas zum Essen mit. Seien es Tütensuppen, Waffeln, Schokoriegel. Ich bekomme dann immer die Hälfte ab, habe schon einen ganzen Schrank voll mit diversen Sachen. Richtig genial war es dann aber heute: Morgens trafen sich einige Frauen aus der Gemeinde zum Kaffetrinken. Da der arme Zivi ja nie was gescheites zum Essen bekommt und schon von den Knochen fällt und außerdem ganz schrecklich unter der Fastenzeit leiden muss (*hehe*) habe ich eine Tüte für das Mittagessen überreicht bekommen. Der Inhalt: 4 Weißwürste, süßer Senf und ein richtig leckeres deutsches Weißbier. Weisswurst
Es fehlte nur noch die Brezel und die Einnahme des Essens vor 12 Uhr und ich hätte mich wie südlich des Weißwurstäquators gefühlt. Ich bin ja eigentlich kein rießiger Fan dieser Speise, aber nach so vielen Monaten mit baguette, fromage und vin rouge war es echt eine sehr abwechslungsreiche und vor allem entspannte Sache die Spende ins Wasser zu geben und ein Bier, das auch diesen Namen verdient und sich entscheidend vom Getränk gleichen Namens hier abhebt, zu genießen. Manchmal braucht es hier nicht viel im Ausland, um wie Gott in Frankreich zu essen.
Diese edele Spende kam in der Tat sehr gelegen, da ich vor der Fortbildungswoche zu bequem war einzukaufen, positiv formuliert habe ich das Schlechtwerden der Lebensmittel im Kühlschrank vergebeugt, weil ich nun nichts mehr drinnen habe. Verhungert wäre auch aber auch ohne dieses "Geschenk des Himmels" nicht, da ich heute wieder bei Mme Dubaquier, der coolsten Oma aus dem XVI arrondissement war. Zu ihr muss ich in der nächsten Zeit unbedingt einen Artikel schreiben, weil ich sie so gerne habe, ist mir schon sehr ans Herz gewachsen. Sie hat es sich wieder nicht nehmen lassen, mich rundum zu gâtieren = verwöhnen (ich bin für mehr Französismen statt Anglezismen in der deutschen Sprache *g*) Neben dem Café wurde ich noch zum dîner eingeladen, zu dem auch einige ihrer Enkelkinder kamen. Jetzt kenne ich auch Aurélie, die danseuse étoile - prima ballerina - an der Oper in Paris. Es ist wirklich unglaublich, wie viele interessante Menschen ich im vergangenen halben Jahr kennenlernte. Deswegen freue ich mich auch schon sehr auf nächste Woche: An diesem Seminar werden sicher sehr nette und engagierte junge Leute teilnehmen und bin auch zufrieden, ein bischen Abstand von der Arbeit zu haben und für eine Woche etwas aufs Land zu fahren. Wie schön und einzigartig Paris auch sein mag - diese Stadt ist zugleich auch sehr anstrengend. Ich melde mich nächstes We mit einem Bericht und Bildern von der Fortbildung...

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Zuletzt aktualisiert: 26. Apr, 00:47

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