Mittwoch, 9. Mai 2007

Politik und Peuplade

Was war das wieder für ein Monat! Wie viel habe ich wieder erlebt, wie viel habe ich gesehen, wie viel habe ich gelernt.. Wie viel habe ich wieder vergessen ;) Wenigstens die zwei prägensten Erlebnisse möchte ich hier beschreiben.

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Zum einen habe ich eine grandiose Sache über Internet gefunden: www.peuplade.fr - le premier site du quartier. Dabei handelt es sich um ein Homepage, die dem Aufbau sozialer Kontakte innerhalb der Nachbarschaft dient und dem Finden von Menschen mit den gleichen Interessen in der Hauptstadt. Das Prinzip ist zugleich simpel und genial: Auf einer interaktiven Pariskarte kann mit einem Reißnagel seinen Wohnort markieren, den Steckbrief seiner Nachbarn konsultieren, mit ihnen in Kontakt treten, Interessengruppen beitreten (werde hoffentlich bald das Rudern wieder anfangen können, gehe mich mit einigen Bekannten von der Seite schon im Parc Monceau joggen) oder gemeinsame Unternehmungen organisieren. Ich habe schon an einigen sehr schöne Aktionen teilgenommen: Einmal in der Woche treffen ewir uns zum Beispiel im 17 arrondissment zum pétanque spielen. Petanque
Zugebenerweise steht die picolage et grignotage - das kollektive Essen und Trinken vor dem Spielen fast im Vordergrund, ist das cochonnette, die kleine Zielkugel, aber erst einmal geworfen, hält den Franzosen nichts mehr bei seinem Nationalsport zurück. Es wird über Taktiken diskutiert, der Gegner verunsichert, der Abstand zwischen den Kugeln mit dem Metermaß nachgemessen und dabei herrscht so eine lockere und angenehme Atmospähre, dass man sich fast wie auf einem kleinen Dorfplatz in der Provence fühlt. Zweite große Beschäftigung der peupladiens ist das Treffen zu einem pot du quartier. Dabei versammeln sich die Einwohner eines bestimmten Viertels in einer Kneipe der Nachbarschaft, um sich kennenzulernen. Es hört sich wirklich absurd an, aber hier kennt man nicht einmal seine Nachbarn aus dem selben Haus, geschweige denn die aus der Nebenstraße. Es ist nun sehr angenehm, bekannten Gesichtern auf der Straße zu begegnen oder zu wissen, wer bei einer Computerpanne helfen könnte. Wie schon erwähnt ist peuplade eine unschätzbare Ideenbörse: Wo finde ich einen Ruderclub? Was ist die beste Kneipe des Viertels? Auf praktisch jede Frage findet sich eine fundierte Antwort. Vierte große Stärke ist der Zusammenschluss zu großen Aktionen nach dem Motto: Was einer nicht schafft, machen wir zusammen. Auf diese Weise hatte ich das Vergnügen, einen Tag auf dem Land zu verbringen. Dazu muss man sagen, dass das aufs Landfahren Pariser Nationalsport ist. Jeder, der es sich leisten kann besitzt in einem Umkreis von einer Autostunde um Paris ein kleines Häuschen im Grünen. Dort verbringt man nach Möglichkeit das Wocheende oder macht auch gerne einen pont, legt einen Brückentag ein, um mit dem Feiertag am Dienstag (1.Mai, 8.Mai: 62e anniversaire de la victoire de 1945) ein langes Wochende zu entspannen. Da weder ich, noch meine Freunde von peuplade (vor allem 30-Jährige, noch zu jung dafür) ein Ferienhaus besitzen, ging es am 1. Mai nur einen Tag aufs Land, bei strahlendem Sonnenschein zum Pique-Nique. Etwas mehr als eine Stunde Autobahn von Paris entfernt liegt im Nord-Westen das val d'Oise. Eine eine sehr schöne Landschaft, die mich etwas an das Maintal erinnerte. Eigentlich komisch, dachte ich mir im Nachhinein, 70 Kilometer aufs Land zu fahren, was bei mir daheim in Deutschland vor der Tür lag. Auf der anderen Seite, habe ich nach acht Monaten Metropole schon einen gewissen Naturmangel, an dem auch kein Pariser Park etwas ändern kann. Auf einem Hügel über der Oise gab es dann in Pique-Nique, das das Sprichwort: "Essen wie Gott in Frankreich" mehr als bestätigte. Roquefort-Kuchen, Tomaten-Quiche, Thunfisch-Taboulé - ich bewundere jeden Tag die Franzosen in dieser Hinsicht mehr und mehr. In der Nähe besuchten wir einen total schrägen Flohmarkt in einem Ort mit dem sprechenden Namen "Joli Village", in dem ich für meine Lieblingsoma Mme Dubaquier eine echt Deutsche Grammophon Schallplatte für 50 céntimes abstaubte.
Um den obligatorischen Rückreise-Stau vor den Toren Paris zu vermeiden, wurde im Schlossgarten des angrenzenden Dorfes die Reste des mittaglichen Pique-Niques, vor allem die in flüssiger Form und roter Farbe, verzehrt. Schloss-Oise
Zurück in der Hauptstadt in der vollen Métro stellte ich fest, wie schnell man sich an die ländliche Ruhe gewöhnt hat (und wie schnell sie vermutlich auch wieder langweilig geworden wäre...) Wie man aus meinem Bericht vermutlich herauslesen kann, bin ich absolut von dieser Seite begeistert und habe mir als großes Projekt gesetzt, sie in meiner zukünftigen Stadt aufzuziehen.

Das entscheidende Ereignis der letzten Wochen in Frankreich war in Frankreich die Präsidentenwahl. Nach einer nicht enden wollenden Kampagne, seit meiner Ankunft Ende August gibt es kein anderes Thema, einem ersten Wahlgang vor zwei Wochen, einer großen Fernsehdebatte letzer Woche haben die Franzosen am Sonntag endlich ihren neuen Präsidenten gewählt. Dass es Sarkozy geworden ist, war seit einiger Zeit abzusehen. Frankreich wählt eher rechts und die Linke hat es immer noch nicht geschafft, endgültig Abstand vom Klassenkampf zu nehmen und sich als moderne Regierungspartei zu präsentieren. Dazu kommt eine Kandidatin, in der viele eher ein Modell als eine tatkräftige Reformatorin sahen. Bref, mir war es eigentlich ziemlich egal, wer gewählt wurde. Was mir nämlich am Herzen liegt, die deutsch-französischen Beziehungen, drohten unter beiden abzukühlen. Immerhin kündigte Sarkozy mittlerweile als erste Auslandsreise einen Besuch in Berlin an, wie ich die Sache jedoch sehe, wird aber in den nächsten Jahren die Idee der grande nation wieder starken Zulauf bekommen. Hoffentlich nicht zum Schaden Europas.
Ich kann mir vorstellen, dass in Deutschland die Berichterstattung vom Wahlabend recht ausführlich war, deswegen möchte ich nur von meiner persönlichen Wahrnehmung berichten. Ich war wieder als Reporter für die Mainpost unterwegs, was mich dazu veranlasste die Stimmung in beiden Lagern einzufangen. (Artikel ist am 8.Mai in der Mainpost im Politikteil erschienen, schicke auf Anfrage gerne per mail zu) Es war spannend, wie sehr eine einziger Abend Aufschluss über die französische Gesellschaft und die Seele einer Nation geben kann. Bei den Sozialisten in der rue de Solférino vor allem Jugendliche, bei den Konservativen am Place de la Concorde eher ältere Semester, jedoch in beiden Lagern für Außenstehe (für einen Deutschen) übertreiben anmutende Darstellung des Patriotismus: "Vive la République et vive la France!", am Ende jeder politischen Erklärung, die Marseillaise als Schlager aus den Kehlen von 30 000 Menschen auf dem Place de la Concorde. Die deutsche Nationalhymne an einem anderen Ort als in einem Fußballstadium zu singen, würde komisch anmuten. Da ich mich dabei ertappe vom Thema abzuschweifen und da es mittlerweile schon wieder ziemlich spät ist (morgen ist zwar frei, bin zum Mittagessen aber mit dem Pariser Spiegelkorrespondenten verabredet, das möchte ich nicht verschlafen...), verweise ich nur noch schnell auf folgenden Link:

http://www.tagesschau.de/sendungen/0,,OID6706528_,00.html

Wer mich entdeckt gewinnt einen noch bekannzugebenden Preis ;)

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